Das Auftreten der demokratiefeindlichen und antisemitischen „Querdenken“-Bewegung hat in den letzten Monaten nicht nur die Frage aufgeworfen, wie man damit gesellschaftlich umgehen sollte, sondern auch ein Spannungsfeld bezüglich der Rolle des Staates, der Polizei und der Versammlungsfreiheit bei der Bekämpfung dieser Bewegung erzeugt. Über die Ideologie dieser Bewegung ist so viel richtiges gesagt und geschrieben worden, dass das an dieser Stelle nicht wiederholt werden soll. Entscheidend für diesen Text ist eher, dass „Querdenken“ den bewussten und absichtlichen Regelverstoß nutzt, um die Demokratie anzugreifen. Das reicht von der Nicht-Anmeldung der eigenen Demos über Auflagenverstöße bei selbigen bis hin zur Einrichtung von eigenen Schulen zur Umgehung der Schulpflicht.
Das Dilemma emanzipatorischer Kritik
Insbesondere mit Blick auf die Regelverstöße bei Demonstrationen ergibt sich somit für eine emanzipatorische Kritik ein Dilemma. Einerseits muss „Querdenken“ bekämpft werden, auch vonseiten des Staates. Ansonsten macht sich die Demokratie lächerlich, was letztlich zu ihrer Aushöhlung führt. Andererseits ist für eine staatliche Bekämpfung qua Amt die Polizei zuständig, sodass eine Forderung nach einer Bekämpfung der „Querdenken“-Bewegung fast zwangsläufig in einer Forderung nach einem „härteren“ oder „konsequenteren“ Vorgehen der Polizei mündet, oft auch inklusive der Forderung nach einem Verbot der Demonstrationen, was selbstverständlich ein harter Eingriff in die Versammlungsfreiheit ist.
Zusätzlich spielen derartige Forderungen dem Streben der polizeilichen Strukturen nach mehr Befugnissen in die Hände. Bereits jetzt äußerte zum Beispiel der sächsische Innenminister Wöller einen entsprechenden Wunsch, und das obwohl seine sächsische Polizei erheblich wirksamer gegen die dortigen „Querdenken“-Demos vorgehen könnte – wenn sie denn wollte. Zusätzliche Befugnisse sind jedoch aus einer Grundrechts- und demokratietheoretischen Perspektive sehr problematisch und werden sich mittel- bis langfristig gegen linke und emanzipatorische Bewegungen richten und keinesfalls gegen rechte oder rechtsextreme. Gut zu erkennen ist das an den in den Jahren 2017 und 2018 eingeführten Neuregelungen im bayerischen Polizeiaufgabengesetz, die u.a. 2021 genutzt wurden, um rund um die IAA in München harmlose Klimaaktivist*innen in Präventivhaft zu nehmen. Ähnliches gilt für harte Demo-Verbote – in zu schlechter Erinnerung bleiben zum Beispiel die Versammlungsverbotszonen rund um verschiedene Tagebaue, die gegen die linke Bewegung EndeGelände gerichtet waren. Gleichzeitig ist die Versammlungsfreiheit eines der wichtigsten Grundrechte der Demokratie und eine harte Einschränkung grundsätzlich nur in Ausnahmefällen in Ordnung.
Die doppelten Standards der Polizei
Das Messen mit zweierlei Maß im Umgang mit Personen aus dem linken und rechten Spektrum wurde in den vergangenen Wochen während der „Querdenken“-Demos besonders deutlich. So äußerte sich der unterfränkische Polizeipräsident Detlef Tolle bezüglich einer möglichen Auflösung unangemeldeter „Querdenken“-Versammlungen gegenüber der Presse wie folgt:
„Eine Auflösung einer Versammlung mit friedlichem Verlauf kommt aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht in Frage.“
Detlef Tolle, unterfränkischer Polizeipräsident über “Querdenken”-Demos.
Das ist soweit richtig, hinderte die Würzburger Polizei kurz darauf allerdings nicht daran, den völlig friedlichen (und im Übrigen tatsächlich spontanen und damit mit dem Versammlungsgesetz vereinbaren) Gegenprotest der GRÜNEN JUGEND Würzburg zu einer verbotenen (!) „Querdenken“-Laufdemo aufzulösen.
Während #Querdenken in #Würzburg wochenlang mit unangekündigten Versammlungen machen kann, was sie wollen, löst die @PolizeiUFR den friedlichen Gegenprotest der @GJ_Wuerzburg sofort polizeilich auf. Doppelte Standards, wie immer. pic.twitter.com/P6TTCt9Wn4
— Sebastian Hansen (@gruen_seb) December 31, 2021
Dieses Verhalten der Würzburger Polizei ist im speziellen Fall völlig inakzeptabel, im Allgemeinen aber symptomatisch für den polizeilichen Umgang mit Demonstrationen in Deutschland.
Aus dieser Situation heraus ergibt sich die schwierige Frage, ob und wenn ja wie man aus einer emanzipatorisch-linken Perspektive heraus ein „härteres“ Vorgehen der Polizei gegen „Querdenken“ und weitere Einschränkungen des Versammlungsrechts, wie beispielsweise die Allgemeinverfügungen verschiedener bayerischer Städte zum Verbot unangemeldeter „Querdenken-Spaziergänge“, fordern sollte.
Das ganze Problem beschreiben
Klar ist, dass eine wehrhafte Demokratie Angriffe auf sie selbst abwehren muss, um ihnen nicht zum Opfer zu fallen. Klar ist auch, dass innerhalb unserer parlamentarischen Demokratie die Polizei dafür zuständig ist, Straftaten und Ordnungswidrigkeiten aufzuklären und gegebenenfalls zu verhindern. Dennoch ist die Polizei nicht nur Teil der Lösung und „Werkzeug“ zur Bekämpfung der „Querdenker*innen“, sondern auch Teil des Problems. Doppelte Standards und ein übertrieben hartes Vorgehen gegen den Gegenprotest behindern den Widerstand der Zivilgesellschaft gegen „Querdenken“. Faktisch falsche Aussagen, wie die des Würzburger Polizeichefs Matthias Weber, „Querdenken“ in Würzburg sei „nicht rechtsextrem“, verharmlosen die Ideologie der Bewegung. Und eine oft absichtlich fehlende Sanktionierung der Verstöße ermuntert „Querdenken“, sich weiter zu radikalisieren und die Grenzen des Erlaubten weiter auszutesten, auf Kosten des Rests der Gesellschaft.
Kritik den „Querdenker*innen“ – und den Verhältnissen!
Eine Kritik an „Querdenken“ muss deswegen immer auch eine Kritik an den Verhältnissen sein, in denen diese Bewegung groß werden konnte. Verantwortlich dafür ist selbstverständlich nicht nur die Polizei, sondern auch Verharmlosung und „Verständnis“ durch führende Politiker*innen, ein „false balancing“ in der öffentlichen Wahrnehmung sowie die mangelhafte Analyse der Ideologie der Bewegung, die dazu führte, dass die Gefahr von den meisten lange verkannt wurde. Gleichzeitig müssen diese Probleme jetzt behoben werden. Es ist notwendig, klare Regeln aufzustellen, die die Versammlungsfreiheit und gleichzeitig den Gesundheitsschutz garantieren. Versammlungen müssen auch in einer Pandemie notwendig sein – das sagen wir GRÜNE schon von Anfang an – aber dabei müssen eben aufgrund der derzeit hohen Inzidenz auch die grundlegenden Infektionsschutzmaßnahmen eingehalten werden.
Die Allgemeinverfügungen, die einige bayerische Städte zuletzt zum allgemeinen Verbot unangemeldeter „Querdenken“-Demonstrationen erlassen haben, sind sicherlich ein harter Einschnitt in die Versammlungsfreiheit. Sie sind angesichts der bisherigen, immer wiederkehrenden Regelbrüche als ultima Ratio jedoch notwendig. Zudem bleiben angemeldete Versammlungen weiterhin zulässig, grundsätzlich wird die Versammlungsfreiheit also gewahrt. Durchsetzen muss die Allgemeinverfügungen wie auch die Auflagen bei ordnungsgemäß angemeldeten Demos dann die Polizei. Die rechtlichen Voraussetzungen, die Regelbrüche von „Querdenken“ zu sanktionieren, sind derzeit in den meisten Situationen im Übrigen bereits gegeben. Es geht nur darum, ob die Polizei diese Sanktionierung auch durchführen will. Und hierbei sollten wir ein effektives, aber keinesfalls übermäßig gewalttätiges Vorgehen erwarten. Eine Auflösung der verbotenen Versammlungen mit Identitätsfeststellung der Teilnehmer*innen und anschließendem Bußgeld geht wie zuletzt in München auch einigermaßen geordnet. Dass Polizist*innen sich bei tätlichen Angriffen verteidigen können müssen, ist selbstverständlich, aber aus einer emanzipatorischen Perspektive darf die Gewalt des Staates niemals Selbstzweck sein.
Trotz aller notwendigen und vollkommen berechtigten staatlichen Maßnahmen muss „Querdenken“ jedoch vor allem auch politisch bekämpft werden. Die Zivilgesellschaft muss zeigen, wo sie steht – in Schweinfurt ist das zuletzt mit der von mehr als 20.000 Menschen unterzeichneten „Schweinfurter Erklärung“ eindrucksvoll gelungen. Solche Aktionen, Gegendemos und ein klares politisches Signal braucht es jetzt allerorten. Die Demokratie muss gegen die Angriffe der „Querdenker*innen“ verteidigt werden. Und zwar von uns.