NoPAG – was bleibt fünf Jahre nach den Protesten gegen das bayerische Polizeiaufgabengesetz?

NoPAG

von Leonie Pfadenhauer und Sebastian Hansen

Die Polizei – dein Freund und Helfer? So sagt es zumindest der bekannte Spruch aus dem Nationalsozialismus, den wir heute noch kennen und häufig hören. Doch wie viele Befugnisse darf die Polizei haben, um Gesetze durchzusetzen und Eigentum zu schützen? Schauen wir genau 5 Jahre zurück. Zu dieser Zeit, 2018, wurde in Bayern gerade um die Einführung des damals „neuen“ Polizeiaufgabengesetzes (PAG) gestritten, das erhebliche Befugniserweiterungen für die bayerische Polizei vorsah. Spoiler Alert!: Trotz aller Kritik und aktiven Protestes in der Bevölkerung wurde das Gesetz beschlossen. Ausgangspunkt der ganzen Debatte war ein Vorschlag für das neue PAG, welcher durch die Bayerische Staatsregierung unter Ministerpräsident Markus Söder in den Landtag eingebracht wurde. Dargestellt wurde dies als Gesetzesentwurf, um die gezielte Bekämpfung von Terrorismus, Extremismus und anderen schweren Straftaten durch die Ausweitung der polizeilichen Befugnisse zu ermöglichen. Die Ausweitung umfasste unterschiedlichste Bereiche der strafrechtlichen Verfolgung wie weitreichende präventive Befugnisse, beispielsweise die Möglichkeit der präventiven Ingewahrsamnahme von Personen oder die Ausweitung der Videoüberwachung. Bereits in der ersten Lesung des Gesetzentwurfes gab es im Bayerischen Landtag heftigste Kritik von Oppositionsparteien (darunter der Grünen-Fraktion), Datenschützer*innen, diversen Bürgerrechtsorganisationen und Teilen der Zivilgesellschaft. Trotz der heftigen Kritik und Besorgnis über die Inhalte des PAG, wie die drohende Kriminalisierung von Aktivismus und legitimen Protesten, mögliche Eingriffe in die Privatsphäre oder den Missbrauch der Befugnisse durch Mitglieder der Polizei, wurde das Gesetz am 15. Mai 2018 von der Bayerischen Staatsregierung verabschiedet und trat schon am 25. Mai 2018 in Kraft. Die Regierungspartei CSU verfügte über eine klare Mehrheit und konnte diese gegen den Widerstand der Opposition durchsetzen. Bereits 2017 hatte es zudem eine erste Novelle gegeben, in der ebenso umstrittene Maßnahmen wie die Verlängerung der Haftdauer bei Präventivgewahrsam umgesetzt wurden.

Das PAG von 2018 stieß auf eine breite Koalition des Widerstands in der Bevölkerung, der über andere thematische Bewegungen weit hinausgeht und die Gegenwehr gegen das eingeführte Gesetz bis heute so besonders macht. Verschiedene zivilgesellschaftliche Gruppen, Menschenrechtsorganisationen, politische Parteien, Gewerkschaften und Aktivist*innen mobilisierten eine Protestbewegung. Sie organisierten Informationsveranstaltungen, Diskussionsrunden und Demonstrationen, um die Auswirkungen des Gesetzes in der Öffentlichkeit bekannt zu machen. Ein besonders herausragendes Merkmal der Proteste waren die Großdemonstrationen die in ganz Bayern stattfanden. Tausende von Menschen gingen damals auf die Straße, um gegen das PAG zu demonstrieren unter anderem in München, Nürnberg, Augsburg oder Regensburg. Neben den Demonstrationen wurden auch eine Onlinepetition gestartet, die ca. 50.000 Unterschriften erhielt, und mehrere Klagen gegen das Gesetz eingereicht. Die Argumentation bezog sich im Besonderen auf die Verletzungen des Grundgesetzes.

Doch was ist an den PAG-Novellen von 2017/18 so problematisch? Dazu muss man sich zunächst verdeutlichen, welchen Sinn der Rechtsstaat hat, in dem wir leben. Wikipedia definiert das so: „Ein Rechtsstaat ist ein Staat, der einerseits allgemein verbindliches Recht schafft und andererseits seine eigenen Organe zur Ausübung der staatlichen Gewalt an das Recht bindet.“

Das bedeutet, dass es ein signifikanter und enorm wichtiger Teil des Rechtsstaats ist, seine Bürger*innen vor staatlicher Willkür zu schützen. Festgelegt ist dieses Rechtsstaatsprinzip in Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes. Teil eines Rechtsstaats ist allerdings auch, dass das Recht, an das sich der Staat bindet, in ausreichend bestimmten Normen formuliert ist und Grundrechtseingriffe klar definierten Voraussetzungen und Begrenzungen unterliegen. Ansonsten ist für eine willkürliche Interpretation des Rechts durch die staatliche Gewalt – in diesem Fall die Polizei – Tür und Tor geöffnet. Es droht, zu einem „Auseinanderklaffen von Verfassungsnorm und Verfassungswirklichkeit“ (Agnoli 2004: 196) zu kommen.

2018 wurde im bayerischen PAG der Begriff der „drohenden Gefahr“ festgelegt, ohne allerdings genau zu definieren, was das eigentlich bedeutet. Praktisch wurde damit die Eingriffschwelle der Polizei weit ins sogenannte Gefahrvorfeld verschoben. Die „ohnehin schon prekären Begrenzungen polizeilichen Handelns in Gefahrensituationen“ werden dadurch noch mehr aufgeweicht (Pichl in Loick, Kritik der Polizei, 2018: 112). Das heißt, dass die Polizei (oder bei einzelnen Maßnahmen ein Gericht) letztlich zunächst selbst definiert, ob eine Gefahr „droht“ und sie somit Maßnahmen ergreift. Der Ermessensspielraum der Polizei wird somit erheblich erweitert. Rechtsschutz dagegen ist dann oft erst im Nachhinein möglich, und das obwohl die Eingriffsschwelle einiger tief in Grundrechte eingreifenden Maßnahmen wie Online-Durchsuchungen oder Telekommunikationsüberwachungen an das Vorliegen der „drohenden Gefahr“ gekoppelt sind. Dazu muss man auch wissen, dass der Begriff der „drohenden Gefahr“ durch das Bundesverfassungsgericht im sogenannten BKA-Urteil lediglich in Bezug auf Vorfeldtatbestände mit terroristischen Bezügen eingeführt wurde – nun wurde er enorm aufgeweitet in das bayerische PAG übernommen.

Traditionell wäre dieses Gefahrvorfeld ausschließlich den Geheimdiensten überlassen. Die Polizei dürfte dann erst bei einer ausreichend konkreten Gefahr eingreifen. Diese strikte Trennung zwischen Nachrichtendiensten und Polizei erfolgte als Konsequenz der Verbrechen der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) des NS-Regimes. Somit wurde durch die PAG-Novelle 2018 sowohl dieses Trennungsgebot aufgeweicht, als auch durch die nicht ausreichend klare Definition der „drohenden Gefahr“ willkürliches Handeln der Polizei deutlich erleichtert.

Wichtig ist dabei, dass die Polizei in dieser Sache kein neutraler Akteur ist, sondern eine politische Kraft mit eigenen Interessen (Pichl in Loick, Kritik der Polizei, 2018: 103). Laut Hartmut Aden entwickeln Sicherheitsinstitutionen „Eigeninteressen am Erhalt und Ausbau ihrer Strukturen, die sich mit den Anliegen und Interessen vorrangig sicherheitsorientierter Akteure in Politik und Gesellschaft überschneiden“ (Aden 2014: 13). Insofern seien die Interessen der Polizei eben nicht unbedingt deckungsgleich mit der normativen Verfassungsordnung und ihrer entsprechenden Anwendung (Pichl in Loick, Kritik der Polizei, 2018: 103). Die unklaren Normen des PAGs müssen somit auch als Einladung an die Polizei gesehen werden, das Recht so auszulegen, wie es ihr gerade in den Kram passt.

Zudem wurde schon in der ersten PAG-Novelle 2017 eine Verschärfung der Präventivhaft eingeführt. Theoretisch hätte man damit z.B. politisch unliebsame Aktivist*innen unendlich lange einsperren können, ohne dass diese sich einer Straftat schuldig gemacht haben müssten – solange ein Gericht die Haft immer wieder bestätigt. Deswegen wurde diese Regelung in den sozialen Medien auch als „Unendlichkeitshaft“ kritisiert. Inzwischen wurde eine Maximaldauer von zwei Monaten eingeführt und die Regelung damit zumindest ein wenig entschärft.

Die ursprüngliche Fassung aber zeigt, ebenso wie der Begriff der „drohenden Gefahr“, worum es der CSU-Staatsregierung 2017/18 ging: die Befugnisse der staatlichen Sicherheitsorgane bis zum maximal Möglichen auszudehnen. Geschenkt, dass die schlimmsten Auswüchse seitdem entschärft wurden; der ganze Rest wurde inzwischen allgemein als Teil der legitimen Sicherheitsgesetzgebung akzeptiert.

Das ist nun fünf Jahre her und in dieser Zeit ist natürlich einiges passiert. Einige besonders weitgehende Normen – zum Beispiel wie schon genannt die „Unendlichkeitshaft“ – wurden durch die damals neue Staatsregierung nach 2018 abgeschwächt. In der Folge lehnte der bayerische Verfassungsgerichtshof eine bereits 2018 eingereichte Popularklage gegen das Gesetz 2023 ab.

Andere Bundesländer nahmen sich hingegen ein Beispiel an Bayern: Niedersachsen reformierte sein Polizeigesetz mit erweiterten Befugnissen für die Polizei, NRW verlängerte ebenfalls den Präventivgewahrsam – wenn auch „nur“ auf bis zu 14 Tage. Auch gegen diese Gesetze gab es jeweils Protest, allerdings lange nicht so stark und groß wie in Bayern. Es zeigten sich also schon hier die ersten Abnutzungs- und Gewöhnungseffekte innerhalb der Gesellschaft.

Ähnlich sah es in Bayern aus. Die ersten Anwendungen des Gesetzes – zum Beispiel wurde Präventivgewahrsam gegen mehrere Geflüchtete in Schweinfurt verhängt – erzeugten noch kurze mediale Aufmerksamkeit. Als später dann Klimaaktivist*innen rund um die IAA in Gewahrsam genommen wurden, interessierte das dann kaum noch jemand. Ebenso gab es in der Folge kein gesellschaftliches Bewusstsein oder erhöhte Wachsamkeit, inwieweit der Begriff der „drohenden Gefahr“ polizeiliches Handeln in der Praxis verändert.

Wirklich in den Fokus geriet das Polizeiaufgabengesetz erst wieder, als 2022/23 reihenweise Aktivist*innen der „Letzten Generation“ wochenlang in Präventivgewahrsam saßen. An diesem Beispiel zeigt sich beispielhaft die gesamte Problematik der besprochenen PAG-Novellen. Man kann über die Proteste der „Letzten Generation“ denken, was man will, eine Gefahr stellen sie jedoch höchstens für den fließenden Verkehr dar und zudem können sie auch sehr wohl von der Meinungs- und Versammlungsfreiheit gedeckt sein. Dennoch konnte die Polizei – mit richterlicher Unterstützung, was es demokratietheoretisch aber nicht besser macht – gegen diese politisch sicherlich unangenehmen, aber garantiert nicht gefährlichen Proteste mit einem der schärfsten Schwerter vorgehen, das sie besitzt: dem Freiheitsentzug. Die Polizei nutzte dabei also genau die Spielräume, die sich ihr durch die PAG-Novellen von 17/18 bieten, um friedlichen, aber unangenehmen Protest zu disziplinieren. Gleichzeitig erfüllte die Polizei so die penetrant vorgetragenen Forderungen meist konservativer Politiker, Aktivist*innen der „Letzten Generation“ in Haft zu nehmen. Im Handeln der Polizei gegenüber der „Letzten Generation“ zeigt sich somit also auch die Wechselwirkung der relativ deckungsgleichen Interessenlage konservativer Politiker*innen und der Polizei: erstere statten zweitere mit den notwendigen Befugnissen aus, die politischen Wünsche ersterer zu erfüllen, was zweitere anschließend bereitwillig tun.

Die Polizei handelt dabei also auch als der politische Akteur, der sie nicht sein sollte, aber defacto immer ist. Und genau das ist gefährlich, denn die Polizei selbst hat für politische Handlungen keinerlei demokratische Legitimation und auch die Kontrolle durch demokratisch legitimierte Gremien ist in Bayern mangelhaft. Die Erweiterung der Befugnisse und Ermessensspielräume 2017/18 zementierte diesen Zustand und verschob die Macht innerhalb der Demokratie weiter auf die Seite der Exekutive. Natürlich nutzt die Polizei diese Macht – doch gerade in den krisenhaften Zeiten der Gegenwart ist das für die Demokratie wirklich keine sonderlich gute Nachricht.

Dennoch: Die #NOPAG-Proteste geben uns wichtige Anknüpfungspunkte für die Zukunft, die uns helfen können, die Bedeutung von zivilgesellschaftlichen Bewegungen und einer breiten effektiven Mobilisierung der Gesellschaft zu verstehen. Die Proteste zeigen uns, dass ein öffentliches Bewusstsein entscheidend ist und wie eine starke öffentliche Aufmerksamkeit für ein Gesetz dazu beitragen kann, dass Bedenken und Kritik gehört werden; dass wir die Möglichkeit haben, unsere Stimmen zu erheben, wenn wir etwas verändern wollen. Gemeinsam können wir eine politische Diskussion hervorrufe, wie beim PAG, wenn es um Sicherheit und Freiheitsrechte geht, aber auch bei anderen Themen, wenn wir es schaffen, dass sich unterschiedlichste Organisationen mit einem gemeinsamen Ziel verbünden und gemeinsam auftreten. Die Proteste haben uns ebenfalls gezeigt, wie bedeutend die Kontrolle der Exekutive für unsere Rechtsstaatlichkeit ist und dass, auch wenn es eine kontinuierliche Anstrengung erfordert, das Engagement der Zivilgesellschaft unerlässlich ist, auf potenzielle Missstände hinzuweisen und Veränderungen zu bewirken. Protest ist wohl eines unserer besten Mittel, ein Sprachrohr für die Forderungen zu sein, die in Parlamenten gerade zu kurz kommen und ebenso, um deutlich zu machen, wenn etwas schief geht und wir dringende Veränderung brauchen. Wir lernen aus den Protesten gegen das Polizeiaufgabengesetz letzten Endes, dass der Druck auf der Straße ebenso wichtig ist wie eine starke Stimme im Parlament. Sie sind unverzichtbar für unsere Demokratie und am effektivsten, wenn sich unterschiedlichste Gruppen verbünden, um gemeinsam für Forderungen einzutreten. Ein Protest wie der gegen das PAG ist auch heute noch möglich.

Über die Autor*innen

Leonie Pfadenhauer ist Stadträtin in Bamberg und war von 2022 bis 2023 Mitglied des Landesvorstands der GRÜNEN JUGEND Bayern. Sebastian Hansen ist 2. Bürgermeister der Gemeinde Waldbüttelbrunn und Kreisrat im Landkreis Würzburg und war von 2017 bis 2019 im Landesvorstand der GRÜNEN JUGEND Bayern.

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