It’s the Ideology, Stupid!

Aluhut Transpi

Als „Querschnitt der Bevölkerung“ bezeichnet der Würzburger Polizeichef Weber „Querdenken“ und immer wieder wird von verschiedenen Politiker*innen gefordert, der „bürgerliche“ Teil der „Querdenker*innen“ solle sich von den Rechtsextremen, die die Demos „unterwandern“ würden, abgrenzen. Beide Aussagen zeigen, dass die üblichen Muster, um politische Gruppen zu beschreiben, im Fall „Querdenken“ erneut versagen und bei vielen wichtigen staatlichen wie politischen Akteur*innen noch immer eine mangelhafte Analyse der Ideologie dieser Bewegung vorherrschend ist.

Die Beschreibung „bürgerlich“ wird im politischen Kontext meist für zwei verschiedene Klassifizierungen genutzt, die sich zuweilen auch überlappen. Zum einen wird damit die soziale Herkunft der betrachteten Menschen beschrieben. Mit „bürgerlich“ sind also Angehörige der finanziell meist gut situierten Mittel- bis Oberschicht gemeint. Zum anderen bezeichnet „bürgerlich“ den politischen Standpunkt einer Gruppe. In Abgrenzung zu den „Extremen an den beiden Rändern“ wird „bürgerlich“ als Beschreibung für die große Masse Menschen, die eine „ausgewogene“, „vernünftige“, „anständige“ und „nicht-extremistische“ politische Einstellung besitzen, genutzt. Die dahinter stehende Extremismustheorie wird jedoch inzwischen von vielen Wissenschaftler*innen zurückgewiesen. Vielmehr ließen sich menschenfeindliche Einstellung in der ganzen Gesellschaft beobachten. Ein wichtiger Indikator hierfür sind die regelmäßig durchgeführten, sogenannten Mitte-Studien der Universität Leipzig.

Die selben Fehler wie beim letzten Mal? Die selben Fehler wie jedes Mal!

Die „Querdenken“-Bewegung ist im Gegensatz zu anderen rechten und demokratiefeindlichen Mobilisierungen der letzten Jahre erheblich schwerer zu greifen, weil sie deutlich diffuser und heterogener ist als zum Beispiel „PEGIDA“ 2014/15. Dennoch wurden und werden in beiden Fällen ähnliche Fehler gemacht: anstatt auf die Ideologie der Bewegung zu schauen, wird oft die soziale Herkunft der Teilnehmer*innen für eine Bewertung herangezogen. Da die Demos – Überraschung – eben nicht ausschließlich aus Typen mit Glatzen und Springerstiefeln bestehen, sondern ziemlich viele Leute da sind, die „ganz normal“ aussehen, können sie also nach Ansicht einiger Beobachter*innen gar nicht rechts oder demokratiefeindlich sein. Zugleich wird argumentiert, dass man doch so eine große Masse an Menschen doch kaum als antisemitisch einordnen könne. Und wenn doch mal Neonazis da sind, dann ist das eine Unterwanderung, von der man sich bitte distanzieren solle. So jedenfalls funktioniert, polemisch formuliert, auch bei „Querdenken“ die Logik der Polizei und in konservativen Kreisen. Dabei wird die eigentliche, in ihrer Ideologie liegende Gefahr der „Querdenken“-Bewegung verkannt.

Antisemitismus als roter Faden der Bewegung

Eine Abhandlung über alle ideologischen Schattierungen der „Querdenken“-Bewegung würde an dieser Stelle den Rahmen sprengen. Entscheidend sind drei Grundmotive, die sich durch alle Ableger ziehen. Zum ersten eine grundsätzliche Ablehnung von (wissenschaftlichen) Fakten, zweitens Antisemitismus in fast allen möglichen Formen und drittens eine ausgeprägte Demokratie- und Staatsfeindlichkeit. Während ersteres selbsterklärend ist, wenn man wenige Minuten im Telegram-Universum der „Querdenker*innen“ verbringt, bedürfen die anderen beiden Punkte einer Erklärung.

Der Antisemitismus ist dabei tatsächlich der rote Faden, der die gesamte Bewegung zusammenhält. Besonders ins Auge stechen dabei Gleichsetzungen zwischen den Verbrechen des NS-Regimes und den Corona-Maßnahmen, die in der Wissenschaft als sogenannter sekundärer Antisemitismus klassifiziert werden. Ein Beispiel hierfür ist die auf den Würzburger Demos oft geäußerte Behauptung, Corona-Impfungen seien ein Verstoß gegen den „Nürnberger Kodex“. Ebenso beliebt sind auf den Demos Verschwörungsideologien, die unterstellen, eine kleine Elite würde die Welt kontrollieren und mit der „Plandemie“ versklaven wollen. Eine oft verbreitete Erzählung ist dabei die vom sogenannten „Great Reset“. Die Kontrolle der Welt durch eine „jüdische Elite“ ist ein klassisches antisemitisches Motiv, das schon Adolf Hitler für seine Agitation nutzte. Ebenfalls eine antisemitische Konnotation besitzt die pauschale Ablehnung der medizinischen Wissenschaft, die im NS-Regime als „verjudete Schulmedizin“ verfemt wurde. Diese mehr oder weniger niederschwelligen Erzählungen sind für Menschen aus vielen verschiedenen Milieus anschlussfähig: für den Springerstiefel-Neonazi genauso wie für eine homöopathiefreundliche Esoterikerin mit Aluhut. Deutlich wird hierbei vor allem die Kontinuität zur NS-Ideologie.

Nicht nur antisemitisch – auch demokratiefeindlich!

Verhältnismäßig neu ist im Gegensatz zu den oben beschriebenen antisemitischen Motiven die vor allem im Osten nicht nur unter den „Querdenker*innen“ verbreitete Demokratie- und Staatsfeindlichkeit. Diese äußerst sich nicht selten in Gewalt, wobei es neben Politiker*innen auch Ärzt*innen und Journalist*innen trifft, also im Endeffekt alle, die in den Augen der „Querdenker*innen“ für die liberale Demokratie stehen. Diese ist generell das Ziel der Angriffe und hier kommt tatsächlich eine Art „Instrumentalisierung“ durch die organisierte rechtsextreme Szene ins Spiel. Altbekannte Figuren, die schon an der rassistischen Protestwelle der Jahre 2013 bis 2016 maßgeblich beteiligt waren, organisieren die „Querdenken“-Demos in Ostdeutschland mit und nutzen die oben beschriebene Ideologie der Teilnehmer*innen, um diese gegen die Demokratie aufzuwiegeln. Eine Einflussnahme des rechtsextremen Milieus und eine entsprechende Kontinuität sind also klar zu beobachten. Möglich ist das jedoch vor allem wegen des ideologischen Grundsteins der Proteste.

Wer mitläuft, unterstützt

Natürlich ist das Publikum der „Querdenken“-Demos sehr heterogen. Dennoch wird sowohl innerhalb der Telegram-Chats als auch in der Debatte mit den Demonstrierenden deutlich, dass die beschriebenen ideologischen Tendenzen von der überwiegenden Mehrheit auf den Demos geteilt werden. Allein der Jubel bei den entsprechenden Reden macht das deutlich. Und generell gilt, dass man sich mit den Zielen einer Demo, an der man teilnimmt, gemein macht. Dennoch fehlt in der öffentlichen Debatte eine klare Problematisierung der Ideologie. Dadurch findet gleichzeitig auch eine Exkulpation der teilnehmenden Personen statt. „Querdenken“ wird durch die Zuschreibung als eigentlich aus einem „bürgerlichen“ Milieu stammende Bewegung zudem als ein nicht grundsätzlich indiskutabler Standpunkt gelabelt. Antisemitismus und Verschwörungsideologien sind jedoch grundsätzlich ein illegitimer Standpunkt. Beides verharmlost die Proteste und führt zu einem vergrößerten Zulauf, denn so schlimm sei das alles dann ja gar nicht. Zudem ist bei der Polizei eine klare Hemmung zu beobachten, gegen die gezielten Regelbrüche der Proteste vorzugehen, denn da „seien ja Frauen und Kinder dabei“ (O-Ton eines Würzburger Polizeiführers; ganz anders ist die Haltung der Polizei übrigens, wenn es um Leute von der GRÜNEN JUGEND geht).

Ernstnehmen statt verharmlosen!

Ob diese Hemmung an der Verkennung der Gefährlichkeit des Protests liegt oder an einer klammheimlichen polizeilichen Sympathie für Personen des rechten Spektrums und diese dann durch die Beschreibung des Protests als „bürgerlich“ und damit ungefährlich vertuscht werden soll, wird regional unterschiedlich sein. Gefährlich ist es in beiden Fällen und angesichts des üblichen, harten polizeilichen Vorgehens gegen linken Protests ein Schlag ins Gesicht der aktiven und wachsamen Zivilgesellschaft. Insbesondere bei konservativen Politiker*innen mag das Motiv für die Exkulpation auch darin liegen, potentielle Wähler*innen nicht zu verschrecken. Dazu kommt die Abwehrhaltung gegen die unangenehme Erkenntnis, dass Menschen aus dem eigenen sozialen Milieu durchaus demokratiefeindlich eingestellt sein könnten und somit die oft propagierte Extremismustheorie sich selbst erledigt hätte.

Letztlich nutzt die Beschreibung der „Querdenken“-Demos als „bürgerlich“ allein einer Gruppe und zwar den „Querdenker*innen“ selbst. Der sozialen Herkunft der Teilnehmer*innen kann man dieses Label zwar in vielen Fällen geben, doch für die politische Beschreibung taugt es nicht. „Querdenken“ ist alles andere als ungefährlich und sollte durch Politik und Polizei nicht weiter verharmlost werden. Es ist notwendig, die Ideologie hinter den Demos als das was sie ist ernst zu nehmen: antisemitisch, demokratiefeindlich und in der Kontinuität und Tradition der deutschen extremen Rechten stehend. Erst wenn insbesondere politische Entscheidungsträger*innen, Zivilgesellschaft und Sicherheitsbehörden das verstehen, besteht eine ernsthafte Möglichkeit, „Querdenken“ konsequent zu bekämpfen.

Titelfoto: Konstantin Mack

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